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Beitrag vom 14.10.2002
Minority Report
Gaby Miericke-Rubbert
Nach uns die Gegenwart oder die Rückkehr in die Zukunft - Minority Report
Drei Tage lang versammelte Steven Spielberg eine Gruppe von Experten verschiedenster Fachrichtungen in einem Hotel in Santa Monica, um in einem gemeinsamen Brainstorming die wahrscheinlichsten Zukunftsvisionen für die kommenden 50 Jahre zu finden. Die Ergebnisse dieser „Ideenfabrik“ verwertete der Starregisseur in seinem neuen Film „Minority Report“.
Naturkatastrophen oder Kriege wurden bewußt ausgeklammert, aber die verspätete Verwirklichung von Orwells Big-Brother-Prophezeiung setzte sich in der Spielbergschen Vision durch. Ihn faszinierte die Idee des Verlusts der Privatsphäre als Basis für eine erfolgreiche Verbrechensbekämpfung.
So kann in der Thrillerwelt des Jahres 2054 jeder Mensch durch Augenscan-Vorrichtungen an jedem Ort und zu jeder Zeit identifiziert werden. Das hilft vor allem der Pre-Crime-Division des Washingtoner Justice Department bei der Verfolgung von Mördern, die schon gefaßt werden, bevor sie ihr Verbrechen begehen konnten.
Enttarnt werden die zukünftigen Täter durch die drei sogenannten Pre-Cogs, von der Außenwelt abgeschottete junge Erwachsene mit übersinnlichen Fähigkeiten. In Wassertanks liegend werden sie permanent künstlich in einem Dämmerzustand gehalten, um ungestört hellseherische Phantasien entwickeln und Bilder von zukünftigen Morden liefern zu können.
John Anderton (Tom Cruise), der perfekte Chef dieses perfekten Polizeiteams sortiert mit ausladenden Dirigentengesten an einem transparenten, überdimensionalen Bildschirm die ungeordneten und unvollständigen Bilder der Pre-Cogs. Bis die Puzzleteile sich fügen und der Ort des Verbrechens identifiziert ist.
Dann zieht der Held Anderton mit seiner Mannschaft los, ausgestattet mit futuristischen James-Bond-artigen Fluggerätschaften durch ein dreidimensionales Verkehrsnetz, das horizontale, vertikale und achsiale Bewegungen ermöglicht. Ohne einen Tropfen Kaffee zu verschütten.
Prophylaktisch dingfest gemacht und gestapelt werden die zukünftigen Täter in wabenartigen Strafbatterien, wo jeder aufrechte Tierschützer bei entsprechender Hühnerhaltung schon Protest angemeldet hätte.
Die Pre-Crime-Methode scheint perfekt und Anderton ihr enthusiastischer Anhänger, bis die Pre-Cogs ihn selbst als potentiellen Mörder imaginieren. Nun wird er selbst zum Gejagten und ist gezwungen, die Fehl- und Manipulierbarkeit des Systems aufzuspüren.
Der Schwerpunkt des Films verlagert sich nun endlich von der effekthascherischen Science-Fiction-Ebene zu den persönlichen Motiven und Vergangenheiten der Hauptfiguren. Jetzt zieht die Enträtselung und Entwirrung der verschiedenen Ebenen einer komplexen und spannenden Geschichte die ZuschauerInnen in den Bann.
Und die Akteure, die vorher perfekt und mechanisch in einer technologisch durchgestylten Welt funktionierten, werden allmählich menschlich, mit Leidenschaften, Abhängigkeiten und Abgründen. Der Actionthriller bekommt eine wohltuende psychologische Komponente.
Als Spannungshöhepunkt ergibt sich die philosophisch anmutende Frage, ob Anderton die Handlungsfreiheit hat, zwischen alternativen Zukünften zu wählen oder ob sich die vorhergesagte Mordvision der Pre-Cogs als selbsterfüllende Prophezeiung bewahrheiten muß.
Letztendlich siegt das menschlich Allzumenschliche doch wieder über die Science-Fiction-Futuristik des Jahres 2054. Und die ZuschauerInnen können nach dem atemberaubenden Hochgeschwindigkeitsthriller mit einem Happy End wieder in unsere Zeit zurückkehren.
USA 2002
Regie: Steven Spielberg
Buch: Scott Frank & Jon Cohen
nach dem Roman von Philip K. Dick
DarstellerInnen: Tom Cruise, Colin Farrell, Max von Sydow,
Samantha Morton, Steve Harris, Lois Smith, Tim Blake Nelson u.a.
Länge: 145 Min.
Kinostart: 3. Oktober 2002